Tagesmütter im Landkreis Heilbronn kämpfen um mehr Anerkennung
Das Heilbronner Landratsamt schreibt Fortbildungen in Präsenz vor – Tagespflegepersonen drohen mit Streik. Warum wollen sie lieber online lernen? Und was das Kreisjugendamt dazu sagt.

Über mangelnde Wertschätzung kann Stephanie Beck sich eigentlich nicht beklagen. Die Cleebronner Tagesmutter bekommt sie täglich: in Form von Umarmungen und Küsschen ihrer kleinen Schützlinge und anerkennenden Worten derer Eltern. „Wenn man Probleme hat, findet man hier ein offenes Ohr und bekommt wertvolle Pflege- und Erziehungstipps“, sagt etwa Daniel Jäger. Er ist besonders nach der Geburt seines ersten Kindes dankbar für Becks Beistand: „So was ist unbezahlbar.“
Das Beste, was man machen kann
Daher wird nach dem Sohn (2), der sich seit anderthalb Jahren bei seiner Tagesmama pudelwohl fühlt, bald auch die kleine Schwester (zehn Monate) täglich in den völlig auf Kleinkinder ausgerichteten Haushalt im ruhigen Wohnviertel kommen. „Das ist eigentlich das Beste, was man machen kann“, findet auch Kathleen Kuba, die Mutter der beiden. Die jungen Eltern setzen auf das Konzept Tagesmutter statt Kita, weil die Gruppe kleiner ist, die Betreuungszeiten flexibler sind. Sie finden, dass die Kinder in dem Privathaushalt besser betreut sind.
Angst vor Repressalien
Warum beklagt sich Stephanie Beck, die insgesamt schon mehr als 20 Jahre lang Kinder zwischen einem und drei Jahren betreut, dann ausgerechnet jetzt über mangelnde Wertschätzung - als Sprecherin einer Gruppe von zehn Tagesmüttern aus der Region, die aus Angst vor Repressalien anonym bleiben möchten? Kindertagespflegepersonen arbeiten zwar selbständig, sind aber auf das (Kreis-)Jugendamt angewiesen. Zum einen, weil es ihnen pro Stunde und Kind 7,50 Euro zahlt, vor allem aber, weil es sie überhaupt erst als Tageseltern zulässt. Für die Zulassung müssen die in der Mehrzahl weiblichen Kinderbetreuer gewisse Voraussetzungen erfüllen, die alle fünf Jahre überprüft werden. Dazu gehören regelmäßige Schulungen: „Nach der Verwaltungsvorschrift des Kultusministeriums vom 6. April 2021 sind für Kindertagespflegepersonen praxisbegleitende Fortbildungen in einem Umfang von jährlich 20 Unterrichtseinheiten (UE) mit je 45 Minuten vorgeschrieben“, bestätigt Landratsamt-Sprecherin Lea Mosthaf.
Tagesmütter fühlen sich gegängelt und bevormundet
Beck kann einen ganzen Ordner mit Teilnahmebescheinigungen vorweisen, etwa zum Thema „Sprachförderung“, „Maria Montessori“, „Entwicklung des freien Spiels“ und so weiter. Kern des Anstoßes und aktuellen Protests einiger Tagesmütter aus dem Landkreis ist nicht die Schulungspflicht, sondern die ab 2025 geltende Präsenzpflicht für mindestens zwölf der Unterrichtseinheiten. Maximal acht dürfen auch online belegbar sein. Für Stephanie Beck unverständlich, zumal während der Corona-Pandemie alles nur noch online ging: „Die Präsenztermine sind zum Teil am Wochenende, während meiner kargen Freizeit, oder abends: Da bin ich zu müde, um noch nach Heilbronn zu fahren.“ Zusätzlich argumentiert sie mit dem CO2-Abdruck, der hinterlassen wird, „wenn alle mit dem Auto nach Heilbronn fahren.“ Was die 57-Jährige aber vielleicht noch mehr erbost als die Präsenzpflicht an sich: „Wir fühlen uns gegängelt, bevormundet, nicht wertgeschätzt.“ Es sei nicht gesetzlich vorgeschrieben, wie und wann man seine Fortbildungen absolviert, in anderen Landkreisen gebe es keine Präsenzpflicht, und die Jugendamt-Mitarbeiterinnen hätten sogar mit Entziehung der Pflegeerlaubnis gedroht, wenn die Fortbildungen nicht wie vorgeschrieben absolviert würden. Aus diesem Grund möchte auch keine von Becks Mitstreiterinnen namentlich im Artikel erwähnt werden.
„Die spielen ihre Machtposition aus“, sagt Beck, „doch wir wollen nicht gegängelt werden, sondern auf Augenhöhe kommunizieren.“ Man habe ein Verhältnis von 50:50 für Online-/und Präsenzschulungen als Kompromiss angeboten, sei aber „am runden Tisch abgekanzelt worden“.
Rücknahme Präsenzpflicht gefordert
Die Tagesmütter aus Becks Gruppe kennen sich vom Verein Tageskinder Region Heilbronn. Dessen Vorstand, namentlich Sandra Waberski, Rico Giebe und Iris Schulz, hat in ihrem Auftrag im März ein Schreiben ans Kreisjugendamt formuliert: „Die Qualität guter Fortbildungen hängt aus unserer Sicht eben nicht von den Rahmenbedingungen „Präsenz“ oder „Digital“ ab, sondern von der Fachexpertise des/der Dozenten/Dozentin und dessen/deren Vorbereitung auf die (digitale) Fortbildung“, heißt es darin, außerdem stehe und falle die aktive Teilnahme auch mit der grundsätzlichen Motivation des Teilnehmers. Der wichtigste Satz ist rot hervorgehoben: „Wir fordern die umgehende Rücknahme der Präsenzregelung“.
Was sagt das Landratsamt dazu? „Als Behörde, die die Pflegeerlaubnis erteilt, ist es uns wichtig, dass Kindertagespflegepersonen für ihre verantwortungsvolle Aufgabe gut gerüstet sind“, teilt Lea Mosthaf mit. Die meist unter Dreijährigen seien besonders schutzbedürftig, ihre Betreuung erfordere ein hohes Maß an persönlichen und fachlichen Kompetenzen: „Diese Kompetenzen können in Präsenz unmittelbarer vermittelt werden.“ Da viele Kindertagespflegepersonen allein arbeiteten, sei dieser Austausch wichtig.
Stephanie Beck und ihre Gruppe sowie der Tageskinderverein möchten aber selbst mehr entscheiden dürfen und einen Kompromiss erreichen. Wenn das Landratsamt weiterhin Gespräche ablehnt, drohen sie nun ihrerseits: Mit Streik und, sollte der nicht fruchten, mit anwaltlichen Maßnahmen.
Stichwort: Bildungsträger
Der Tageskinderverein in Heilbronn unterstütze seine Mitglieder in der Sache, doch möchte die Vorsitzende Sandra Waberski sich weiter nicht dazu äußern, da sie ansonsten eine gute Kooperation mit dem Landratsamt pflegt. Taki bietet selbst Fortbildungen an, außer an den Außenstellen Sulmtal und Wüstenrot. Ansonsten buchen die Tagesmütter Präsenzschulungen bei Pari Kinderwelten (vormals Arkus) oder der AIM. Die Kurse bei der AIM seien allerdings so beliebt, dass sie ausgebucht sind, sobald sie online angeboten werden, beklagt Stephanie Beck. Waberski bestätigt diese Beobachtung: "Es wird schwierig, überhaupt eine Fortbildung zu bekommen", wenn alle in Präsenz absolviert werden müssten.
Kommentare öffnen
Stimme.de
Kommentare