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Auslaufmodell: Die Telefonzellen sterben aus

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Die Heilbronner Stadtverwaltung stemmt sich gegen den Kahlschlag. Telekom lässt einige Häuschen verwahrlosen. 77 Telefonzellen gibt es noch in Heilbronn.

Von Helmut Buchholz

Fast auf den Tag genau vor 81 Jahren wurde die erste Telefonzelle in Heilbronn auf dem Kiliansplatz aufgestellt. Damals war das eine Hightech-Sensation, der Aufbruch in eine neue, moderne Kommunikationswelt.

Heute hat statistisch gesehen jeder Bundesbürger ein Handy. Der Mobilfunk ist der schleichende Tod der stationären Häuschen im öffentlichen Raum. 2007 gab es in Deutschland noch 110.000 Telefonzellen der Telekom samt Mitbewerber. Heute sind es nur noch 23.000. Tendenz: weiter extrem sinkend.

Stadt will keinen Telefonzellen-Kahlschlag

Im Moment sind es noch 77 öffentliche Telefonie-Standorte in Heilbronn. Von denen würde die Telekom zwar mangels Umsatz gerne alle bis auf 21 komplett abbauen. Doch die Stadtverwaltung widersetzt sich dem Kahlschlag, will die Grundversorgung der Bevölkerung sichern − mit mäßigem Erfolg. Denn bei einer Stichprobe an den 77 Standorten vor Ort wird schnell klar: Die Telekom kümmert sich zum Teil überhaupt nicht mehr um die Häuschen. Manche werden zum Schandfleck, hässliche Relikte aus längst vergangenen Zeiten.


Zum Beispiel vor dem Heilbronner Hauptfriedhof. In der Telefonzelle hängt kein Telefonapparat mehr. Im Häuschen sammeln sich Laub und Unrat. Eine kleine Müllhalde. Wie lange der Telefonapparat schon fehlt, daran kann sich die Verkäuferin im Blumenladen nebenan nicht erinnern. "Es sind schon Jahre." Vor allem Ältere würden die intakte Telefonzelle vermissen. "Sie kommen vom Friedhof, wollen ein Taxi bestellen und dann geht das halt nicht. Dann rufen wir hier im Laden für sie an."

Einige Telefonhäuschen sind heruntergekommen

Noch schlimmer sieht die Telefonzelle in der Schweinsbergstraße 2 aus. Nicht nur, dass der Telefonapparat komplett verschwunden ist. Auch die Scheiben des Häuschens fehlen allesamt. Zwar weist noch ein Schild in der Zelle darauf hin: "Hier telefonieren." Aber beim Anblick dieses Torsos klingt das fast wie blanke Ironie. In einem Geschäft mit direkter Sicht auf die zerstörte Zelle erntet die Schrottimmobilie nur noch Achselzucken. "Das ist doch eine Sauerei", sagt ein Mann. "Die Zelle gehört weggeräumt. Aber wir werden ja nicht gefragt."

Wer Auskunft über die Telefonzellen in Heilbronn bekommen will, hat es beim Eigentümer Telekom schwer, an Informationen zu kommen. Das Unternehmen weigert sich schlicht, auf die regionale Situation einzugehen. Die Begründung: Der Markt wandle sich so schnell, da sei eine verbindliche Aussage nicht möglich. Übersetzt könnte man sagen: Die Telefonzellen verschwinden überall so schnell, so schnell können die Pressesprecher gar nicht über ihre Standorte sprechen.

"Der Unterhalt einer Telefonzelle kostet Geld"

Ein Bild aus besseren Telefonzellentagen: 1979 wird eine behindertengerechte "Telefonhaube" in Heilbronn eingeweiht.
Ein Bild aus besseren Telefonzellentagen: 1979 wird eine behindertengerechte "Telefonhaube" in Heilbronn eingeweiht.  Foto: Kempf, Gerd

Nur ganz allgemein erklärt Telekom-Sprecher Hubertus Kischkewitz: "Der Unterhalt einer Telefonzelle kostet Geld, etwa für Strom, Standortmiete und Wartung. Mit der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände wurde deshalb vereinbart: Die Telekom darf Städte und Gemeinden wegen eines Abbaus ansprechen, wenn auf deren Gebiet extrem unwirtschaftliche öffentliche Fernsprecher mit einem Umsatz von weniger als 50 Euro pro Monat stehen."

Der Umsatz sei ein klares Indiz dafür, dass der Wunsch nach einer Grundversorgung durch die Bevölkerung an dieser Stelle offensichtlich nicht mehr bestehe. "Der Kunde ist Architekt des Telefonzellen-Netzes."

Wenn die Kommune doch an einem Standort festhalten möchte, spreche die Telekom mit den Verwaltungen über die ersatzweise Aufstellung von sogenannten Basistelefonen. Dieses Telefon steht im Freien, Telefonieren ist nur noch mit Calling- und Kreditkarte möglich − Notrufe und 0800-Nummern ausgenommen. Doch selbst diese Sparversionen verwahrlosen in Heilbronn zum Teil. Zum Beispiel am Pfühlpark ist der Hörer des Basistelefons abgebrochen. "Das ist schon seit Jahren so", sagt Kiosk-Betreiber Oliver Rau. In Notfällen und wenn jemand kein Mobiltelefon hat, könnten Passanten sein Telefon benutzen. Das würde rund einmal im Monat passieren.

Heilbronn will nicht auf öffentliche Telefone verzichten

Den Telekom-Sprecher überraschen die Zerstörungen an Zellen und Basistelefonen. Normalerweise warte eine Firma für die Telekom regelmäßig die Telefone. Kischkewitz: "Ich gehe der Sache nach. Wir sind dankbar für jeden Hinweis." Es gab aber auch positive Beispiele bei der Stimme-Stichprobe. Die Telefonzelle vor dem Heilbronner Hauptbahnhof ist picobello gepflegt, funktioniert einwandfrei.

 

 

Egal ob marode oder intakt: Die Stadtverwaltung Heilbronn will jedenfalls auf kein öffentliches Telefon in der Stadt verzichten. "Wir sind ja nicht weltfremd in Zeiten, in denen jeder ein Handy besitzt", erklärt Rathaussprecher Christian Britzke. Aber die 77 Standorte seien für die Kommune "gerade noch die Grundversorgung".

 

Bücherzellen

Was passiert mit den massenhaft ausrangierten Telefonzellen? Sie werden von der Telekom entsorgt und verkauft. Wer will, kann eine erwerben und in den Garten stellen. Gelbe Häuschen sind aber ausverkauft. Preise und Infos kann man per E-Mail unter info@telekom.de erfragen.

Mitunter funktionieren Bürger und Kommunen die alten Zellen auch als Büchertauschstationen um, wie zum Beispiel in Leingarten vor dem Rathaus. Die Heilbronner Bauverwaltung lehnt dies aber ab, wie Rathaus-Sprecher Christian Britzke erklärt. Die Bücherstationen sollen "einheitlich sein und eine gewisse Qualität haben". Vorbild sei die gläserne Büchervitrine am Bollwerksturm.

 

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